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AutorenbildHeike HL

DozentSein: Wenn die Leistung Lernender in unseren Augen "mangelhaft" ist

Aktualisiert: 6. Aug. 2024

DozentSein: Wenn eine Leistung Lernender in unseren Augen "mangelhaft" ist - sollte sich ein reflektierter Dozent immer fragen, woran das liegt.

Ich habe vor vielen Jahren mal bei einem Kollegen im Unterricht hospitiert und wurde danach von ihm um ein Feedback gebeten. Es handelte sich um einen Unterricht, in dem die Lernenden ihre Ausarbeitungen in Bezug auf spezifische Übungen in einen Körperabschnitt (nämlich Knie) demonstrieren mussten.

Da ich mir kein generelles Urteil über sein Unterrichten erlauben wollte, habe ich ihn gefragt, wie zufrieden er selbst denn war. Naja, sagte mein Kollege, ich bin überhaupt nicht zufrieden mit dem, was die Lernenden gezeigt haben. Ehrlich gesagt, Heike - es war echt schlecht.

Woran er denkt, dass es gelegen hat - frage ich ihn. Seine Antwort: Ja natürlich an den Lernenden!

Ist das wirklich so einfach?

In der Rolle als Dozent/In ist Beurteilungsfähigkeiten in Bezug auf Lernende ein wichtiges Kriterium. Und übrigens eine der Kompetenzen, die Anfängern in der Dozentenrolle zunächst schwer fällt. Warum? Weil wir unseren eigenen Anspruch, den Anspruch des jeweiligen Bildungsträgers und den des Berufsstandes im Auge behalten müssen. Und es immer auch etwas mit Be-Urteilung von einer Person zu tun hat. Eine mangelhafte oder ungenügende Leistung ist meist eine sehr unangenehme Erfahrung für Lernende und Lehrende (abgesehen von den Lehrenden, die Lernende gerne negativ beurteilen - warum auch immer. Ich habe festgestellt, das hat oft etwas mit der eigenen Persönlichkeit dieser Menschen zu tun).

Dozenten im berufsqualifizierenden Bereich müssen in der Lage sein, Lernende mit ihren heterogenen Fähigkeiten jeweils fair einschätzen zu können - abhängig vom Entwicklungsstand Lernender und der Ziele in der jeweiligen Lernphase.

Folgende Überlegungen können uns in der beurteilenden Rolle als Dozent/In unterstützen:

  • Wie definiere ich für mich "sehr gut", "gut", "befriedigend", "ausreichend", "mangelhaft" oder "ungenügend". Und in Bezug auf welche Leistung definiere ich diese Kriterien eigentlich genau?

  • Welche Handlungsschritte Lernender habe ich zu beurteilen - nur einen einzelnen Aspekt der komplexen beruflichen Handlung? Oder eine komplexe Aufgabe?

  • Tipp: Mache ich meine Anforderungen gegenüber Lernenden transparent, kann ich nicht nur leichter protokollieren und argumentieren, sondern sogar unschöne, zeitraubende Diskussionen vermeiden.

  • Welche Eindrücke beeinflussen mich eigentlich noch in meiner Beurteilung des jeweiligen Prüflings? Und warum ist das so?

Übrigens sind kompetenzbeschreibende Beurteilungen wesentlich sinnvoller als die Reduzierung auf die Noten 1-6 (100%-0%) - aber in unserem System der Leistungserhebung leider schwer oder nur mit viel Kreativität umsetzbar.

Als professionell tätiger und reflektierter Dozent frage ich mich zudem:

  • Habe ich mit meinem Unterricht den aktuellen Wissensstand berücksichtigt?

  • Habe ich in meiner Lehre alle Wahrnehmungskanäle angesprochen?

  • Wurde ich als Lehrender dem aktiven Lernprozess Lernender (nämlich sich Wissen selbst aneignen zu müssen) im Unterricht wirklich gerecht?

  • Wurde dem Lernweg und ggf. der Lösungserarbeitung Lernender Raum gegeben - oder habe ich nur meine subjektive Ausdeutung von Lerngegenständen und Lösungen berücksichtigt?

  • Habe ich an das vorhandene Wissen (aus dem Leben) Lernender angeknüpft? Die Lerngegenstände "erlebbar" gemacht?

Da ich ein großer Fan der Berücksichtigung von Hirnforschung in der Lehre bin, hier noch ein paar wissenschaftliche Anregungen von Gerhard Roth (2011): "Wie Lernen gelingt" ...

  • Vertrauenswürdigkeit des Lehrenden ist lernförderlich

  • Die Art des Lernens wird von der individuellen Persönlichkeit Lernender bestimmt

  • Angst- und Depressionszustände können Erinnerungsblockaden fördern

  • Eine Atmosphäre von Anordnungen, Reglementierungen oder Schikanen wirkt sich ungünstig auf die Lernbereitschaft aus

  • Positive Inhalte werden besser erinnert als negative Inhalte (Wie kommuniziere/lehre ich?!)

  • Wissen sollte in detailreiche/anschauliche Episoden und Geschichten verpackt werden

  • Unterricht fächerübergreifend gestalten

  • Wiederholen ist wichtig, um Vergessen zu vermeiden

  • Maximal 30 Minuten Frontalunterricht. Hier den Stoff in 3-minütige Spannungsbögen packen, die dann kurz zusammengefasst werden (Tipp: Kurzes Murmelgespräch zwischen Lernenden mit der Frage: Was haben wir gerade gehört/gelernt?) - JA! Didaktische Reduktion ist eine wichtige Kompetenz als Lehrender...

  • Abschluss der jeweiligen Lehrveranstaltung: Ausführliche Zusammenfassung der Lehr-Lern-Einheit ermöglichen

Da frage ich mich doch:

Hat mein Kollege, bei dem ich damals hospitiert habe, diese Dinge alle berücksichtigt, als er zu dem Schluss gekommen ist, dass die "echt schlechte Leistung" nur an den Lernenden lag?

Was meinst Du?




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